Das Narrativ von Andrew Tate
Der Weg zum passenden Beruf gleicht einem langen und herausforderndem Aufstieg eines Berges, der unsere Widerstandsfähigkeit dabei regelmäßig fordert. In der ständigen Ungewissheit, ob der Gipfel überhaupt dem entspricht, was wir wollen.
Dabei braucht es Orientierung. Die ergibt sich häufig auch ohne, dass Kinder und Jugedliche danach fragen. So zum Beispiel gut gemeinte Ratschläge von Seiten der Großeltern oder dem näheren Umfeld. Was wollen die Freundinnen später machen? Wozu rät der Praxisberater? Eine der wichtigsten Instanzen in diesem Prozess sind mittlerweile die Medien und konkreter soziale Netzwerke. Dort bestimmen die Jugendlichen selbst, was sie konsumieren. Auf Instagram, TikTok und Co werden neben der Platzierung von Produkten, dabei auch verschiedene Rollenbilder und Berufsstereotype transportiert. Damit einher gehen das Image und Prestige einer Branche. Gilt es als cool Künstlerin sein zu wollen? Positioniert man sich der Polizei gegenüber offen oder kritisch und kommt dieser Beruf für mich in Frage? Ist das Handwerk eine Option, weil ich Fynn Kliemann folge? Möchte ich im Bereich Fashion & Livestyle arbeiten, weil mich Lisa und Lena inspirieren? Oder möchte ich 10.000$ in 10 Tagen machen – bitte was?
10.000 $ in 10 Tagen
Diese Versprechen finden sich zunehmend häufiger im Internet. Da posieren muskulöse Männer vor teuren Autos und Bündel an Scheinen blitzen durch Brusttaschen von Designerhemden. Einer davon ist Andrew Tate. Der ehemalige Kick-Box-Weltmeister spielte schon früh sehr viel Schach, nahm bei dem britischen Reality-Format BigBrother teil, flog nach Folge 6 aufgrund von Vergewaltigungsvorwürfen raus und verbreitet Unmengen diskriminierende Inhalten im Internet. Mit riesigen Klickzahlen. Vor allem Jungen im Teenager-Alter sind fasziniert.
"Männer müssen verstehen, dass das Leben Krieg ist. Es ist ein Krieg um die Frau, die sie wollen. Es ist ein Krieg um das Auto, das sie wollen. Es ist ein Krieg um das Geld, das sie wollen. Es ist ein Krieg um Status. Männliches Leben ist Krieg." Andrew Tate in einem seiner Videos
In seinen Videos fordert Tate dazu auf seiner „Hustler University“ beizutreten. Er verspricht dort Männern (nur Männern!), dass sie mit Kryptowährungen und Dropshipping mehrere Tausende Dollar im Monat verdienen können. Neben der Tatsache, dass dieses Geschäft in Deutschland illegal ist, weil es auf Grundlage des Schneeball-Prinzips funktioniert, formt es außerdem demokratiefeindliche Inhalte. Er spricht von der Welt als „Matrix“ aus deren Simulationen man ausbrechen müsse. Er hat Kontakt in rechte Millieus und Verschwörer-Netzwerke und er stiftet andere Männer dazu an es ihm mit ähnlichen Alpha-Mentoring-Programmen gleichzutun.
Alpha-Männlichkeit und ihre gefährlichen Auswüchse
Der Begriff Alpha-Männlichkeit wird in Deutschland durch den Rapper Kollegah bekannt. Dieser besingt in ebenso misogynen Texten unter anderem die Tatsache, dass Salat den Bizeps schrumpfe. Andrew Tate bläst in ähnliche Sprachrohre und verbreitet Mythen darüber, dass echte Männer nur Mineral- und kein Leitungswasser tränken oder nur Hunde und keine Katzenbesitzer seien, weil alles andere als schwach und damit unmännlich gelte. Er macht sich öffentlich über sensible, emotionale, tja, menschliche Charaktereigenschaften lustig und negiert Depression als eine Krankheitsform, da "vorrübergehende Traurigkeit" lediglich dazu anstifte, härter an der eigenen Stärke zu arbeiten. Mit all diesen kruden These erlaubt er es nicht nur Männern nicht sein zu dürfen, wer sie wollen, sondern er wertet vor allem Frauen und Menschen insgesamt ab. Und das gibt er öffentlich zu. Sie dürfen zum Sex gezwungen, erniedrigt und bewertet werden. Sie sollen einzig dem Mann und seinen Interessen dienen und sich in allem an männliche Lebenswelten anpassen. Ständig verfügbar.
Rollenbilder und Berufe
Diese Rollenbilder sind extrem gefährlich, denn sie erlauben die Einteilung in gering ausdifferenzierte Cluster und schüren Hass. Eine Studie von Plan International aus dem Jahr 2019 beweist, je stärker junge Menschen soziale Netzwerke nutzen, desto stärker denken sie in stereotypen Bildern. Problematisch wird das Ganze deshalb, weil es so viele junge Männer betrifft. Die riesigen Klickzahlen beweisen, wie groß der Bedarf in dieser Zeit großer jugendlicher Orientierungslosigkeit nach richtungsweisenden Hinweisen und Hilfestellungen ist. Nur geht dieser hier in die völlig falsche Richtung: eine, die feindlich in alle erdenklichen Richtungen ist. Es braucht also Aufklärung!
Dafür müssen Sie sich als Pädagog/-innen oder Eltern allerdings mit den aktuellen Inhalten vertraut machen. Es ist wichtig zu wissen, was Ihre Kinder an digitalen Inhalten konsumieren. Damit gemeint ist keinesfalls die Überwachung, sondern vielmehr das Abtasten eines Meinungsbildes auf Grundlage regelmäßiger Gespräche und Fragen.
Was können Sie tun?
- Zuhören
- Kritische Gegenfragen stellen
- Was ist ein realistisches Männerbild? Was bedeutet es ein Mann zu sein und zu werden?
- Wie möchtest du als Mensch behandelt werden?
- Wir fändest du es, wenn ein anderer so über deine Mutter oder Schwester sprechen würde?
- Findest du es realistisch, dass ich in 10 Tagen so viel Geld verdiene?
- Wieviel Geld verdient man als ausgebildete Fachkraft eigentlich pro Stunde?
- Was ist Kryptowährung denn eigentlich genau?
- ...
- Selbst eine klare Haltung etablieren
- Ein Vorbild sein
- Gesprächsangebote machen
- Andere Sichtweisen eröffnen
Dabei kann die Verantwortung nicht allein Eltern oder der Schule übertragen werden, denn das Problem ist ein sehr viel Größeres. Es ist systematisch und Tate nur ein Auswuchs dessen. Und trotzdem hilft es einen Blick dafür zu behalten, was die Welt von Social Media für Jugendliche bereithält.
Hier finden sich weitere Informationen dazu:
- ZDF-Reportage: Andrew Tate: Aufstieg als TikTok Star und Frauenhasser
- ZDF-Magazin Royal: SO machst DU Erfolgs-Coaches richtig erfolgreich
- Artikel und weitere Verlinkungen zu Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen
- Das Medienkulturzentrum Dresden bietet beständig kostenlose Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche an, in denen sich unter anderem auch mit solchen Themen auseinandergesetzt wird. Es finden auch Informationsveranstaltungen für Eltern/ Erziehungsberechtigte oder Pädagog*innen statt.