Das Chaos nach Klasse 10
„Ja, das war eigentlich ein bisschen chaotisch.“ Paula lacht und hustet. „Ende der zehnten Klasse war sehr durcheinander, denn ich hatte absolut keine Ahnung, was ich machen will. Ich wusste nur, dass ich auf gar keinen Fall ins Büro möchte. Ich habe mich auch wenig um Bewerbungen gekümmert und nach der zehnten Klasse nur eine Einzige abgeschickt und die ging an Volkswagen. Das hat dann aber nicht geklappt.“ Sie hält kurz inne, um zu überlegen. „Ja, und so stand ich da und hab mich gefragt: Was mache ich jetzt? Dann habe ich überlegt und anschließend mein Fachabitur in Technik gemacht, weil mich die technische Richtung immer schon interessiert hat. Das war auf jeden Fall auch kein Fehler, denn das hat mich in meiner Entwicklung gestärkt und mich auch für meinen Beruf, den ich dann später gewählt habe, gut vorbereitet.“ Ich kann spüren, dass sie beim Nachdenken stolz auf diese Entscheidung war.
Sie erzählt weiter: „Und dann im Laufe des zweiten Jahres an der Schule, als wir auch wieder Bewerbungen abschicken mussten, haben wir dann überlegt: Ja, was machst du denn danach? Und ich hatte während des Fachabiturs auch schon ein Praktikum gemacht, auch in Richtung Mechatronikerin in Mittelsachsen. Wobei man dazu sagen muss, dass der Mechatroniker dort ganz andere Sachen macht als der hier bei uns. Aber es hat mir halt übelst gefallen und Spaß gemacht. Und irgendwann später kam meine Mutti zu mir, denn die hatte eine Kundin, die auch bei Porsche gelernt hat und das hat meine Mum mir erzählt. Und das klang in meinen Ohren nicht schlecht. Habe mich dann aber auch noch bei VW, BMW, Porsche, enviaM beworben. Das ist auch soweit alles gut gelaufen, aber Porsche waren halt die schnellsten und deshalb habe ich mich dann dafür entschieden.“ Während sie den letzten Satz spricht, wirkt sie fast ein wenig verlegen, allerdings lächelt sie im Anschluss. „Das war gut so.“, sagt sie.
Roboter unterscheiden nicht nach Frau oder Mann
Dieses Chaos kommt mir bekannt vor. Auch meine persönliche Biografie erzählt eine ganz ähnliche Geschichte. Ich wechsle trotzdem das Thema und frage Paula danach, ob sie ihre Liebe zu einem technischen Beruf je in Hinblick auf die Tatsache, dass sie eine Frau ist, hinterfragt hat. Sie antwortet mir, dass sie sich darüber NIE Gedanken gemacht hätte. Während sie das „nie“ spricht verändert sich ihre Stimme. „Das war halt mein Beruf, der hat mich interessiert. Und ich habe darüber mit kaum einer Silbe nachgedacht, dass das eigentlich mehr ein „Männerberuf“ ist. Mich hat das aber von Anfang an nicht gestört, denn ich war auch als Kind immer lieber unter Jungs. Im Fachabitur war ich auch das einzige Mädchen und da hat mich das auch irgendwann nicht mehr gestört. Ich muss auch sagen: irgendwie komme ich mit Männern besser klar, als mit Frauen. Deswegen war das nie ein Thema.“
Ich frage sie danach, wie die Reaktionen waren, immer dann, wenn Paula ihren Beruf benannte. Sie erzählt: „Naja, also die meisten stellen schon mal die Frage „Wie kommt man darauf als Mädchen in so einem Männerberuf zu arbeiten?“, wenn man denen erzählt, was man da macht. Aber da haben dann auch immer alle positiv reagiert, natürlich fanden sie es auch cool, dass ein Mädel das macht und sich nicht nur Jungs dafür interessieren.“ Paula bewegt sich auf ihrem Stuhl hin und her und fährt sich mit der Hand durch ihre Haare. Sie rollt die Augen leicht nach links und berichtet mir dann: „Hm, ich sag mal so: in unserem Betrieb wird die Frauenquote auch gestärkt. Auch in der Ausbildung wollen die eine gewisse Anzahl an Frauen pro Ausbildungsjahr haben, so dass da Stück für Stück mehr Mädels da arbeiten. Und ich muss auch sagen, das wird auch wirklich. Das Lehrjahr vor uns hatte ungefähr genauso viele Frauen wie wir; die nachfolgenden Jahre hatten dann schon mehr Mädels dabei. Und das zeigt, dass sich mehr Frauen dafür interessieren den Job zu machen.“
„Und sind die Startbedingungen für Frauen da die gleich? Wie schätzt du das ein?“ frage ich sie.
„Das kann man gar nicht so wirklich sagen, denn ich habe da nie einen Unterschied gemerkt. Es gab nie Situationen, wo es hieß „Okay, du bist eine Frau und das merkt man an deiner Arbeit.“. Bei mir war es aber auch so, dass ich durchs Fachabitur schon viel Wissen hatte, was in der Ausbildung wieder kam, weil viele Themen sich wiederholt haben. Dadurch war ich gut vorbereitet und konnte meinen Mit-Lehrlingen helfen. Deswegen war das für MICH jetzt nie so, dass ich gemerkt hätte, dass ich eine Frau bin. Da gab es nur ganz wenige Situationen. Wir hatten zum Beispiel in der Ausbildung einen Werksdurchlauf, wo man mal in der Montage, der Lackiererei, also in vielen Positionen war. Und dort hat man manchmal gemerkt, dass vereinzelte Mitarbeiter dich als Mädchen wahrnehmen und irgendwie bisschen komisch mit einem reden. Aber es sind WIRKLICH die wenigsten!“
Auf die Frage, wie sie damit umgeht, reagiert Paula gelassen. Sie macht eine wegwischende Handbewegung: „Ach, ich höre da drüber.“ seufzt sie. „Ich sag mal so, man soll dann einfach ein bisschen beweisen, dass man genau das gleiche kann, wie ein Mann. Gibt auch gewisse Sachen, die kann eine Frau in diesem Beruf nicht so gut wie ein Mann, weil es körperliche Unterschiede gibt und einem da als Frau manchmal die Kraft fehlt. Wenn es zum Beispiel um den mechanischen Teil geht. Viele Männer sind nun mal von Natur aus körperlich stärker und wenn du da als Frau irgendwas machen willst, hängt man da als Frau bisschen mehr dran. Aber vom Kopf her, macht das keinen Unterschied.“ Damit ist das Thema für sie beendet und ich kann spüren, dass es in ihrem Leben tatsächlich keine Rolle spielt Wahrscheinlich sogar eine geringer als in meiner Realität. Wir bleiben sitzen, aber die Gespräche ändern sich. Denn von nun an sprechen wir über Kinder und Kindheit.